Anfang April steht die Wirtschaft und das öffentliche Leben in den meisten Industrienationen plötzlich still. Mit dem Lockdown setzt unmittelbar auch eine weltweite Wirtschaftsrezession ein. Dabei wird nicht nur die fragile Struktur von – auf Kostenminimierung ausgerichteten just-in-time – Versorgungs- und Wertschöpfungsketten offensichtlich, auch die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum für kapitalistische Volkswirtschaften wird auf eine beispielhafte Art und Weise veranschaulicht. Ohne Wachstum befindet sich das System unweigerlich in der Krise.

Gleichzeitig verzeichneten Messstationen an vielen Orten Europas, der USA und Chinas einen dramatischen Rückgang der CO2-Emissionen. Historisch gesehen korreliert Wirtschaftswachstum nahezu linear mit einem entsprechenden Anstieg der Treibhausgasemissionen. Wesentliche – kurzfristige – Reduktionen ergaben sich hingegen nur in der Folge größerer Krisen: Die Ölkrise von 1973, der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Finanzkrise von 2007/2008. Und in der Gegenwart: Die Corona-Krise. Unklar ist bislang, wie viele Todesfälle aufgrund der geringeren Luftverschmutzung – manche WissenschaftlerInnen sprechen bereits gar von einem „Corona-Effekt“ – vermieden werden konnten. Das Beispiel zeigt jedoch eindrucksvoll, wie sehr Wirtschaftswachstum und der Ausstoß von Treibhausgasen zusammenhängen. Wächst die Wirtschaft, so kommt es zu einer Expansion des ökonomischen Raums auf Kosten des ökologischen Raums. Wächst die Wirtschaft nicht mehr, gehen auch die Emissionen zurück.

Auch der unaufhörliche ökologische Raubbau des Menschen wird durch exzessives Wirtschaftswachstum verursacht. Industrielle Monokulturen für Palmöl und Tierfutter, die Massentierhaltung oder der Bergbau führen vielerorts zu zerstörten Lebensräumen und einem dramatischen Artensterben. Einige wenige anpassungsfähige Arten nehmen indes überhand, tragen vergleichsweise häufiger Krankheitserreger in sich und werden zudem in die Nähe des Menschen getrieben. Das Entstehen des Coronavirus – zuvor bereits Ebola, Vogelgrippe, SARS, Zika-Virus oder HIV – ist so auf die Lebensweise des Menschen, seine spezifische Gesellschaftsformation, zurückzuführen.

Das soziale Leben der Pandemie

Während Pandemien wie das Coronavirus durch den ökologischen Raubbau des Menschen wahrscheinlicher werden, nimmt die Geschwindigkeit der Ausbreitung mit der gesteigerten Mobilität dramatisch zu. Doch gerade diejenigen, die von Wirtschaftswachstum und gesteigerter Mobilität am meisten profitieren, können sich vor den negativen langfristigen Auswirkungen am besten schützen. Fakt ist, auch die Corona-Pandemie offenbart eine schockierende Ungleichheit. Unterschiedliche Zugänge und Möglichkeiten des Homeschooling verringern die ohnehin schon mangelhafte Bildungs- und Chancengerechtigkeit und ein Lockdown in einem geräumigen Familienhaus ist mit einem Lockdown in einer kleinen Wohnung keineswegs zu vergleichen. Die Abriegelung und Bewachung ganzer Armenviertel in Johannisburg oder Rio de Janeiro zeugt von einer bereits existierenden Zwei-Klassen-Gesellschaft und manche Gruppen, beispielsweise die indigenen Völker Südamerikas, sind der Corona-Pandemie größtenteils hilflos ausgeliefert.

Diese Tendenzen könnten sich im Laufe der sowie im Anschluss an die Corona-Krise noch vertiefen. Im globalen Kontext kommt es zu Nationalismus und Konkurrenzkämpfen zwischen den Nationen (beispielsweise bei der Beschaffung von Gesichtsmasken oder dem Zugang zu Impfstoff). In Ländern wie Deutschland oder Österreich hingegen, die über einen umfangreichen fiskalpolitischen Spielraum verfügen, gleicht die Rangelei um Soforthilfen und Notfallfonds einem Tauziehen der mächtigsten Lobby-Gruppen. Der Kultursektor bleibt dabei erwartungsgemäß unterrepräsentiert. Langfristig werden die expansive Geldpolitik der EZB und niedrige Realzinsen indes zu weiter steigenden Immobilienpreisen und zu relativ höheren Kapitalmarkterträgen im Vergleich zu Arbeitseinkommen führen. Eine deutliche Vertiefung der Schere zwischen Arm und Reich ist damit auch in diesen Ländern absehbar. Clive Spash nennt diese ungleiche Fähigkeit von Nationen und Menschen innerhalb von Nationen, auf Krisen zu reagieren, ein Spiegelbild der Struktur der globalisierten politischen Ökonomie.

Nachhaltiger Konsum statt Post-Wachstum?

Erfolg wird im Kapitalismus daran gemessen, dass Geld angehäuft und reinvestiert wird, um wiederrum mehr Geld anzuhäufen. Es geht also darum, dass Rad so schnell wie möglich zu drehen und immer weiter zu beschleunigen. Statt dem Wohl der Menschen oder des Planeten geht es in erster Linie um Profitmaximierung und Wachstum. Kapitalakkumulation ist dabei seit Langem zum Selbstzweck geworden.

Bereits vor der Corona-Krise steckte das kapitalistische Wirtschaftssystem deshalb in einer Vielfachkrise. Dabei war noch vor wenigen Monaten die globale Klimakrise das dominierende Thema in den Medien. Doch anders als bei der Coronavirus-Pandemie wurden in diesem Kontext mehr als 30 Jahre lang keinerlei Maßnahmen ergriffen, um CO2-intensive Lebensstile oder Verhalten im Allgemeinen zu regulieren oder zu beschränken. In diesem Kontext ist auch der Lithium-Bergbau als eine Art “Scheinlösung” zu betrachten: Statt einer Transformation des Individualverkehrs wird ein Austausch der Antriebsart angepeilt. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen nun, dass PolitikerInnen unter extremen Umständen im eigenen Land durchaus bereit sind, entgegen Unternehmens- und Finanzinteressen zu handeln.

Politik und Gesellschaft böte sich nun die einmalige Chance, nicht ins (sozial-ungerechte und umweltzerstörerische) „Normale“ zurückzukehren, sondern einer rein auf Wachstum und Konsum basierenden Wirtschaft den Rücken zuzukehren und ein Wirtschaftssystem rund um die Erfüllung wesentlicher Bedürfnisse der Allgemeinheit zu strukturieren. Doch stattdessen setzt die Politik zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie vor allem auf die Sicherung von nicht-nachhaltigen Arbeitsplätzen, die Sicherung von Liquidität und eine schnelle Rückkehr zu weiterem Wirtschaftswachstum. Zwar hat sich die gesellschaftliche Stimmung in Bezug auf die Klimawandel aufgrund von Bewegungen wie Fridays for Future seit der Finanzkrise 2007/2008 deutlich geändert, doch nach der Präsentation des deutschen Konjunkturpaketes zeigten sich einige UmweltschützerInnen allein aufgrund der Abwesenheit einer Neuauflage der Abwrackprämie bereits positiv überrascht. Diese kommt indes nun indirekt in Form einer Mehrwertsteuersenkung und einer zusätzlichen Förderung von Plug-In-Hybriden. Die geplante Erhöhung der Kaufprämie für Elektroautos wird aufgrund der zu geringen Kapazitäten der Automobilindustrie neben einem „Mitnahmeeffekt“ weitestgehend verpuffen.

Ob das österreichische Corona-Hilfspaket, das deutsche Konjunkturpaket oder der milliardenschwere Europäische Aufbauplan der Europäischen Kommission, Ziel ist die Rückkehr zur Vergangenheit, weiterem Wachstum und einem business-as-usual. Eine tatsächliche Umgestaltung oder Transformation der Wirtschaft abseits des Wachstumsparadigmas findet bislang nicht statt, doch wir wissen nun, dass auch schnelle politische Reaktionen und Handlungen möglich sind. Die Coronavirus-Pandemie hat bereits heute Tausende Opfer gefordert. Angesichts der ökologischen Krise sollten wir sie als wichtigen Warnschuss begreifen.

Heterodoxer Ökonom mit Doktorat in Geographie, arbeitet über die Globale Politische Ökonomie der Dekarbonisierung mit Fokus auf Lithium und Wasserstoff. Starker Fokus auf globale Produktionsnetzwerke, Mensch-Umwelt Beziehungen und Fotografie