Die Klimakrise ist in vollem Gange und ihre katastrophalen Auswirkungen für Mensch und Umwelt sind längst spürbar. Laut verschiedener Studien befinden wir uns bereits außerhalb des sogenannten ‚safe operating space for humanity‘, einer Art Sicherheitszone, in der das Erdsystem keine der neun planetaren Grenzen überschreitet. Wissenschaftler*innen diskutieren außerdem, ob wir das einst im Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5-Grad-Ziel schon überschritten haben. Angesichts solch einer bedrohlichen Perspektive scheinen Lösungen wie der Umstieg auf erneuerbare Energien oder die Renaturierung von Ökosystemen auf der Hand zu liegen.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass sowohl der Klimawandel selbst als auch einige der bereits etablierten Lösungsansätze wesentlich komplizierter und daher schwieriger zu bewältigen sind. Timothée Parrique, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Lund, veranschaulicht die Komplexität des Klimawandels am Beispiel eines Zauberwürfels: Es ist zwar ein guter Anfang, wenn eine oder zwei Seiten bereits einfarbig sind, aber das reicht noch lange nicht aus, um den ganzen Würfel zu lösen. Und beim Versuch, die restlichen Seiten richtig auszurichten, kann es passieren, dass man bereits gelöste Felder durcheinanderbringt.
Ein Beispiel für dieses Dilemma sind erneuerbare Energien, für deren Nutzung kritische Rohstoffe aus Bodenschätzen gewonnen werden müssen. So werden beispielsweise Nickel, Mangan, Kobalt oder Lithium für die Produktion von Windkraftanlagen, Solaranlagen oder Batterien benötigt. Das bedeutet, dass der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien Bergbau erfordert. Dieser ist aber für seine negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen bekannt, zu denen übermäßige Landnutzung und Wasserverbrauch, Luft-, Grundwasser- und Bodenverschmutzung, Entwaldung, der Verlust von Biodiversität und wertvollen Ökosystemen sowie die Ausbeutung von Arbeiter*innen, die Vertreibung der lokalen Bevölkerung, der Verlust ihrer Lebensgrundlage und der damit verbundene Verlust traditioneller Lebensformen gehören. Viele kritisieren daher den Begriff „grüne“ oder „erneuerbare“ Technologien und sprechen lieber von „emissionsarmen“ oder „CO2-armen“ Technologien, um die Umweltauswirkungen, die bei der Herstellung, des Transports und der Entsorgung entstehen, zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird oft angenommen, dass der Übergang zu grünen Technologien bedeutet, dass wir fossile Brennstoffe einfach durch erneuerbare Energien ersetzen können. Dabei fällt unter den Tisch, dass wir unseren Energie- und Rohstoffverbrauch und unser extraktivistisches Wirtschaftsmodell grundsätzlich in Frage stellen müssen, wenn uns an einem intakten Planeten gelegen ist.
Europa auf dem Weg zu ‘kritischen’ Rohstoffen
Abgesehen von den Umweltfolgen dieser Art des „grünen“ Extraktivismus hat der geopolitische Wettbewerb auf dem Markt für grüne Technologien in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Während der COVID-19-Pandemie und nach dem Ausbruch des russischen Angriffkriegs auf die Ukraine wurde vielen europäischen Staaten bewusst, wie anfällig ihre Lieferketten für Rohstoffengpässe sind. Das betrifft auch den Markt für erneuerbare Energien, der aktuell von chinesischen Unternehmen dominiert wird. Angesichts seiner Schlüsselrolle beim Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung werden daher verstärkt Anstrengungen unternommen, um in diesem Markt unabhängiger zu werden. Die Verabschiedung des „Inflation Reduction Act“ in den USA, welcher finanzielle Anreize für die inländische Produktion grüner Technologien schafft, war ein zusätzliches Signal für die EU-Staaten, ihre Marktposition zu stärken und den Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu verbessern.
Die EU-Kommission hat daher im März 2023 das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen (englisch: European Critical Raw Materials Act, kurz EU CRMA) vorgelegt. Darin sind strategische Ziele zur Sicherung der Versorgung mit den sogenannten kritischen und strategischen Rohstoffen enthalten, welche in einer dem Rechtsakt beigelegten Liste definiert und regelmäßig aktualisiert werden. Diese Rohstoffe sind jedoch nicht nur für die Herstellung grüner Technologien wichtig, sondern werden auch für die Digitalisierung, die Raumfahrt und den Verteidigungssektor benötigt. Gemessen an seiner Bedeutung und Tragweite hat das EU CRMA einen raschen Entscheidungsprozess durch die europäischen Institutionen durchlaufen und steht kurz vor der Verabschiedung.
Tatsächlich basiert das EU CRMA auf einer langfristigen Rohstoffstrategie, die seit 2008 aus rechtlich nicht bindenden Strategiepapieren besteht. Im Gegensatz dazu stellt das neue Gesetz als erster verbindlicher Rechtsakt einen Wendepunkt dar, da es nach seiner Verabschiedung sofort und in allen Mitgliedsstaaten anwendbar ist. Von besonderer Bedeutung sind dabei die von der EU CRMA festgelegten Richtwerte für Beschaffungs-, Verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten, einschließlich des Ziels, mindestens 10 % des jährlichen EU-Verbrauchs an kritischen Rohstoffen im Inland zu beziehen. Um diese Ziele zu erreichen, werden strategische Projekte innerhalb und außerhalb der EU identifiziert, für deren zeitnahe Umsetzung finanzielle Ressourcen und rechtliche Hebel mobilisiert werden sollen.
Das ‘grüne’ Dilemma
Das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen wurde bereits mehrfach von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aufgrund dessen kritisiert, dass es nahtlos an das bestehende extraktivistische Wirtschaftsmodell anknüpft. Und diese Kritik ist nicht unbegründet, denn aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass die weltweite Rohstoffförderung bis zum Jahr 2060 um 60 Prozent gegenüber den heutigen Abbauraten steigen wird. Der EU CRMA würde sicherlich zur Verstetigung dieses Trends beitragen.
Diese Zahlen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur ein Teil der abgebauten kritischen Rohstoffe für grüne Technologien verwendet wird. Andere Wirtschaftszweige, wie z.B. die Elektronikindustrie, haben in der Regel einen höheren Durchsatz und einen höheren absoluten Verbrauch als die Erzeugung erneuerbarer Energien. Es ist daher wichtig, zwischen den Interessen privater Bergbauunternehmen und dem demokratisch beschlossenen Ziel der Dekarbonisierung zu unterscheiden. Deshalb sollte auch die Vorstellung, dass der prognostizierte Anstieg der Rohstoffförderung eins zu eins mit dem Ausbau grüner Technologien zusammenhängt, mit Skepsis betrachtet werden. Denn unser tatsächlicher Bedarf an kritischen Rohstoffen wird außerdem davon beeinflusst, wie wir grüne Technologien einsetzen und wie viel erneuerbare Energie wir nutzen: ein öffentliches Verkehrsnetz zu elektrifizieren ist deutlich ressourcenschonender als die gesamte bestehende Pkw-Flotte.
Ein zentrales Anliegen des EU CRMA ist, wie bereits erwähnt, die Ausweitung des Abbaus kritischer Rohstoffe innerhalb der EU. Während meiner Recherchen habe ich mich daher gefragt, ob die Verlagerung des Abbaus für kritische Rohstoffe nach Europe – auch Onshoring oder Reshoring genannt – aufgrund seiner ökologischen und sozialen Auswirkungen auch entsprechende Konflikte auslösen würde. Würde uns eine solche räumliche Konfrontation mit den Folgen unserer imperialen Lebensweise dazu bringen, unseren Energie- und Rohstoffbedarf grundsätzlich zu hinterfragen? Oder würden solche Konflikte eher zu NIMBY-Argumenten („not in my backyard“) führen, laut denen erneuerbare Energie zwar genutzt werden, deren Produktionsprozesse aber weit weg von der eigenen Haustür stattfinden sollen?
Lokale Bergbaukonflikte in Europa
Genau dieser Frage bin ich in meiner Masterarbeit nachgegangen. Dazu habe ich 36 Konflikte im Zusammenhang mit „grünen“ Bergbauprojekten analysiert, um zu verstehen, wie sich lokale Gruppen politisieren und ihren Widerstand organisieren. Daten zu den Konflikten fand ich im Environmental Justice Atlas, einer Datenbank, in der die Umweltkonflikte auf der ganzen Welt dokumentiert werden. Zu jedem Konflikt werden sowohl quantitative Merkmale erhoben, als auch eine Beschreibung des Konfliktverlaufs in Form eines Fließtextes. Da das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen über die EU-Mitgliedsstaaten hinaus Anwendung finden wird, habe ich auch Konflikte in Nachbarländern wie beispielsweise Norwegen und den europäischen Überseegebieten einbezogen.
Mithilfe einer qualitativ-thematischen Analyse der 36 Konflikte konnte ich bestimmte wiederkehrende Motive identifizieren, mit denen lokale Gruppen auf die Bergbauprojekte und deren Probleme aufmerksam gemacht und ihren Widerstand organisiert haben. Es versteht sich fast von selbst, dass die bereits spürbaren oder prognostizierten Auswirkungen des Bergbaus der Hauptgrund für die Mobilisierung von Anwohner*innen waren. Auch die Verteilungsungerechtigkeit, also wer vom Bergbau profitiert und wer die sozialen und ökologischen Probleme trägt, spielte eine wichtige Rolle. Hier wurde zum einen problematisiert, wenn ein privates Unternehmen von der Ausbeutung von Land profitiert, das zuvor der Gemeinde oder Privatpersonen aus der Umgebung gehörte. Zum anderen wurde auf geographische Verteilungsungerechtigkeiten hingewiesen, wenn z.B. Gebiete an der europäischen Peripherie stärker vom Bergbau betroffen waren als solche im Zentrum Europas. Auffällig ist auch die hohe Anzahl von Konflikten in den nordischen Ländern. Dies ist höchstwahrscheinlich auf die Bemühungen der nordischen Regierungen zurückzuführen, sogenannten grüne und nachhaltigen Bergbau voranzutreiben.
Prozedurale Ungerechtigkeiten, also die unfaire Gestaltung von Entscheidungsprozessen über Bergbauprojekte, waren ein weiterer Zündstoff für Konflikte. Besonders strittig war dabei die widersprüchliche Rolle des Staatss und die Haltung öffentlicher Behörden gegenüber den Bergbauunternehmen und Projektgegner*innen. In der Regel treten diese als Befürworter des jeweiligen Projektes auf, unterstützen die Interessen der Unternehmen oder beteiligen sich aktiv am Ausschluss der lokalen Bevölkerung von Entscheidungsprozessen. In einigen Fällen stellen sich die Behörden aber auch auf die Seite der Kritiker, indem sie z.B. Anträge zum Schutz eines Naturschutzgebietes genehmigen oder bestimmte Gesetze verschärfen. Solche Widersprüche verleihen den Projektgegener*innen einerseits Aufwind und Legitimität, andererseits schüren sie Frustration und lassen viele daran zweifeln, ob staatliche Institutionen ihrer Aufgabe, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten, überhaupt gerecht werden.
Zuletzt wurde der „grüne“ und vermeintlich nachhaltige Bergbau und sein Beitrag zu einer grünen Transformation in Frage gestellt, insbesondere wenn er dabei traditionelle Lebensformen und bestehende landwirtschaftliche Betriebe gefährdet. Die Unvereinbarkeit von Projektplänen mit bestimmten Wertvorstellungen und Nachhaltigkeitszielen wurde ebenfalls häufig problematisiert.
Stärken von Umweltbewegungen?
Einige Bergbaugegner*innen verstehen ihren Widerstand als Teil einer größeren Bewegung und knüpfen dabei an eine umfassendere Kritik am „grünen“ Kapitalismus, Extraktivismus und dem ständig wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauch moderner Gesellschaften an. Allerdings betrachten viele Gruppen ihre Opposition als isoliert und formulieren – zumindest nicht explizit – keine tiefer gehende Kritik. Verallgemeinernde Aussagen über das emanzipatorische und transformative Potenzial des Widerstands gegen „grünen“ Bergbau in Europa sind daher noch nicht möglich.
Mithilfe neuer Strategien und Narrative, die von den unterschiedlichsten Akteuren in Europe und weltweit entwickelt werden, könnte sich dies jedoch bald ändern. Zentral hierbei ist das Konzept von Suffizienz, welches darauf abzielt, die Grundbedürfnisse aller Menschen auf nachhaltige und demokratische Weise zu erfüllen, ohne dabei das Erdsystem zu überlasten und planetare Grenzen zu überschreiten. Suffizienzprinzipien basiert zudem auf Gerechtigkeitsprinzipien, denn sie zielen darauf ab, den exzessiven Energie- und Ressourcenverbrauch im Globalen Norden zu reduzieren, um gleichzeitig Entwicklungsprozesse wie den Zugang zu Energie und Infrastruktur im Globalen Süden innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen.
Die Idee der Suffizienz ist unter anderem durch Kate Raworths Donut-Ökonomie weithin bekannt geworden. Suffizienz findet zunehmend Anklang bei politischen Entscheidungsträgern, wie etwa im bereits erwähnten Global Resources Outlook 2024, dem Sechsten Sachstandsbericht des IPCC oder dem Sachverständigenrat für Umweltfragen der deutschen Bundesregierung.
Europäische Bewegungen, die sich gegen lokale Bergbauprojekte organisieren, könnten von der Aufmerksamkeit profitieren, die Suffizienzideen derzeit genießen. Denn Suffizienz als Oberbegriff hat das Potenzial, zum Aufbau breiter Koalitionen beizutragen, da er den Boom des „grünen“ Extraktivismus im Namen einer steigenden Energienachfrage kritisiert. Ein positives Beispiel für eine solche Strategie ist der Aufruf eines Netzwerks von 75 überwiegend umweltpolitischen Organisationen in Europa, Suffizienzprinzipien in die Strategische Agenda 2024-2029 der EU aufzunehmen. Und jenseits von Diskussionen über konkrete politische Maßnahmen sollten Bergbaugegner*innen und -aktivist*innen verstehen, wie Suffizienz z.B. in Just Transition-Diskursen sichtbar gemacht werden kann, um sich die Unterstützung in der breiten arbeitenden Bevölkerung zu sichern.
Suffizienzmaßnahmen, kombiniert mit dem Bestreben die Wirtschaft zu demokratisieren, haben das Potenzial die negativen Auswirkungen von Bergbau zu reduzieren und diesen auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Während eine absolute Reduktion des gesellschaftlichen Energie- und Ressourcenverbrauchs unumgänglich ist, kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass auch erneuerbare Energien und CO2-arme Technologien eine wichtige Rolle spielen werden. Um dies zu erreichen, muss jetzt nur noch die politische Handlungsfähigkeit gestärkt werden, um Mensch und Umwelt über Profite zu stellen.
Hannah Rebecca O'Neill
Hannah O'Neill promoviert am Environmental Research Institute, University College Cork. Sie erforscht transformative Wege zur Nachhaltigkeit an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Technologie jenseits des Wachstums und versucht, ihrer Leidenschaft für Klima-Utopien, Öko-Anarchismus und Degrowth treu zu bleiben. Vor kurzem hat sie ihr Masterstudium in sozial-ökologischer Ökonomie und Politik an der Wirtschaftsuniversität Wien abgeschlossen und ihre Abschlussarbeit über die politische Ökologie des Onshoring von "grünem" Extraktivismus in Europa geschrieben.