Foto: Blue Marble, aufgenommen von Apollo 17 am 7. Dezember 1972. Das Bild wurde zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung durch die zahlreichen Umweltschutzbewegungen sehr populär und gilt als Versinnbildlichung der Verletzbarkeit und Einzigartigkeit des Erdplaneten. (Quelle: Wikipedia)

Angesichts der Klimakrise muss die Welt dringend von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energieformen umsteigen. Die für diesen Übergang erforderlichen Technologien verbrauchen jedoch große Mengen an Bodenschätzen, die an den Orten, an denen sie abgebaut werden, zu Lasten der Umwelt gehen.

Was können wir also tun? Wir brauchen die Energiewende, um unseren Planeten zu retten. Aber sollen wir den Planeten ausbeuten, um ihn zu retten? Wie können wir nicht? Vor solch unmöglichen Entscheidungen zu stehen, scheint es äußerst schwierig zu machen, dringend notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

In einem Artikel für die Zeitschrift The Extractive Industries and Society befassen wir uns mit diesem Rohstoffdilemma der Energiewende. Dabei lassen wir uns von Anthropologinnen inspirieren, die sich mit Energie als ethischer Frage beschäftigt haben. Energiefragen, so haben sie argumentiert, „sind in hohem Maße ethisch, da sie zum Nachdenken darüber anregen, wenn nicht gar fordern, wie wir glauben, leben zu müssen.“ (High und Smith 2019, 10)

Diese ethische Dimension von Energie bleibe jedoch zu oft unberücksichtigt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel, wo die Energiewende als von Natur aus wünschenswert und sogar notwendig erscheint. High und Smith argumentieren, dass dies problematisch ist, weil eine solche „unreflektierte Beurteilung“ wenig Raum für das „Verständnis dafür lässt, wie verschiedene Menschen Sinn in der Welt sehen.“ (High und Smith 2019, 11)

Daher haben sie dazu aufgerufen, sich „selbstreflexiv“ mit der ethischen Dimension von Energie auseinanderzusetzen. In unserem Artikel versuchen wir, genau das zu tun, indem wir verschiedene Narrative über Lithium untersuchen. Interessanterweise führt uns diese Erkundung über das Konzept der Ethik hinaus. Wir kommen zum Schluss, dass die ethischen Dilemmas zwischen Bergbau und Energiewende politische Fragen aufwerfen, die Teil der Geschichte sein müssen.

Globale Narrative über Lithium

Unser Artikel ist schon seit einiger Zeit am Entstehen. Seit einigen Jahren arbeiten wir gemeinsam an einem Forschungsprojekt zu Lithiumabbau in Südamerika. Da wir uns auf dieses Thema konzentrieren, werden wir unweigerlich ständig mit allerlei Geschichten über Lithium konfrontiert: Geschichten in akademischen Artikeln, Zeitungen, Dokumentarfilmen, Interviews und so weiter.

Da wir in Europa leben und in Südamerika forschen, haben diese Geschichten zwar einen gemeinsamen Nenner, sind aber auch sehr unterschiedlich. In Südamerika wirft Lithium nicht dieselben Fragen auf wie in Europa. Dennoch steht es im gleichen Gesamtkontext einer globalen Energiewende.

Screenshot von der Morrow Batteries Website: https://www.morrowbatteries.com.

Wir brauchen Lithium für die Produktion von Elektrofahrzeugen, um den Klimawandel zu bewältigen ist wahrscheinlich eine der am weitest verbreiteten Aussagen unter den Akteuren, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Doch es gibt auch andere, fast ebenso vorherrschende Narrative: Im globalen Süden muss Entwicklung vor Nachhaltigkeit gehen, oder Bergbau zerstört Orte und lokale Gemeinschaften. In den meisten dieser Geschichten ist von Risiken und Chancen die Rede. So gibt es zum Beispiel die Gefahr von Engpässen bei der Lithiumversorgung und die Gefahr der Schädigung von Ökosystemen durch den Abbau. Aber es gibt auch Chancen auf die Überwindung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und kolonialen Mustern von Ressourcenausbeutung und Handel.

Wir denken, dass viele dieser Narrative problematisch sind. Sie berufen sich ständig auf verallgemeinernde Subjekte wie wir Menschen, wir der globale Süden oder sie die Menschen vor Ort. Wir denken, dass die Beziehungen, die zwischen solchen verallgemeinernden Subjekten möglich sind, der ethischen Komplexität des Rohstoffbedarfs für die Energiewende nicht gerecht werden. Infolgedessen sind die ethischen Rezepte dieser Narrative – was sie uns sagen, was wir tun sollen und warum – ungeeignet, um die gegenwärtige Situation zu bewältigen.

Das Dilemma in zwei Geschichten

In unserem Beitrag versuchen wir, verschiedene Erzählungen über Lithium zu entwerfen, die Raum für unterschiedliche Beziehungen zwischen Menschen, Orten und Dingen schaffen. Wir stellen zwei Kurzgeschichten vor, die auf Gesprächen mit bestimmten Personen basieren, welche auf unterschiedliche Weise mit Lithium zu tun haben.

Die erste Geschichte handelt von einem Unternehmer, der bei einer Reise zur Uyuni-Salzwüste in Bolivien auf die Möglichkeit seines Lebens stieß. Sein Startup entwickelt nun eine bahnbrechende Technologie zur Gewinnung von Lithium aus Salzseen. Damit kann er nicht nur Milliarden für sein Unternehmen und das bolivianische Volk verdienen, sondern auch, ganz bescheiden, die Welt retten.

Screenshot von der EnergyX Website: https://energyx.com/company/#how-it-started.

In der zweiten Geschichte geht es um drei Personen vor Ort, die in unmittelbarer Nähe der Uyuni-Salzebene in Bolivien leben. Sie sorgen sich um die Orte, die sie ihre Heimat nennen – weit weg von den städtischen Zentren – und haben keine andere Wahl, als die Möglichkeiten zu nutzen, die der Bergbau bietet. Ihre ethischen Überlegungen gehen jedoch über das Hier und Jetzt des Lokalen hinaus, denn sie hoffen auf moderne Energietechnologie und sorgen sich um die Zukunft des Planeten.

„Colcha-K, Hauptstadt des bolivianischen Lithiums“, Wandmalerei am Dorfeingang. Foto von Jonas Köppel.

Diese Geschichten geben gewisser Weise das Dilemma wieder, mit dem wir hier zu kämpfen haben: Eine Mischung aus Hoffnungen und Ängsten für die Zukunft, verbunden mit einer schwierigen Wahl zwischen der Rettung lokaler Ökosysteme und Kulturen und der Rettung des Planeten. Doch was für diejenigen von uns, denen beides am Herzen liegt, als moralisches Dilemma erscheint, mag für die Protagonisten unserer Geschichten anders aussehen.

Für die an der Gewinnung von Lithium beteiligten Unternehmen scheint es keine moralische Zweideutigkeit zu geben; es gibt kein Dilemma. Der Lithiumabbau steht im Einklang mit den Unternehmensgewinnen, der Bewältigung des Klimawandels und – zumindest ihren PR-Materialien zufolge – der Unterstützung von Entwicklungsplänen in den Abbaugebieten. Eine Win-Win-Win-Situation. Eine lithium-getriebene Energiewende ist also nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert.

Für viele Menschen, die an Orten leben, an denen Lithium abgebaut wird, besteht das Dilemma jedoch nicht wirklich darin, sich für eines der beiden zu entscheiden. Für sie birgt der Bergbau sowohl Risiken als auch Chancen, mit denen sie jonglieren müssen, wenn sie die Orte, die ihnen am Herzen liegen, lebenswert gestalten wollen. So wie sie bereits in der Vergangenheit mit vielen solcher Win-Lose-Situationen jongliert haben.

Warum Ethik nicht genug ist

Kommen wir nun zurück zur Frage von Energie und Ethik: Wie verändern solche Geschichten die Art und Weise, wie wir – die Autoren und Leser:innen dieses Artikels – denken, dass wir mit dem Rohstoffdilemma der Energiewende umgehen sollten? Sie zeigen uns, dass die Art und Weise, wie Menschen mit diesem Dilemma umgehen, davon abhängt, wer sie sind und wo sie leben. Daher ist die Frage nach dem Subjekt – wer wir sind – hier von Wichtigkeit.

Wie wir oben festgestellt haben, sind globale Erzählungen über Lithium problematisch, weil sie auf verallgemeinernden Subjekten aufbauen. Dies hat zur Folge, dass einige der Kernannahmen, die diesen Erzählungen zugrunde liegen, unhinterfragt bleiben. Hier wollen wir zwei dieser Annahmen ansprechen.

  1. Wir sitzen alle im selben Boot. Als ob die Menschheit irgendwie die schwierige Entscheidung treffen müsste, bestimmte Teile des Planeten im Namen des Allgemeinwohls zu opfern. Wir alle wissen, dass bei einer solchen Verhandlung weder der zu zahlende Preis noch die zu erzielenden Vorteile gleichmäßig verteilt werden. In vielerlei Hinsicht stecken wir sicherlich nicht alle im selben Boot.
  2. Wir brauchen Lithium, um den Planeten zu retten. Aber Moment mal – um den „Planeten“ zu retten? Was versuchen wir eigentlich zu retten? Lithium ist keine Art Impfstoff gegen den Klimawandel. Vielmehr ermöglicht es die Aufrechterhaltung einer bestimmten, privilegierten Form der Mobilität und einer bestimmten Lebensweise in einigen Teilen der Welt und für bestimmte Gesellschaftsschichten.

Vielleicht ist es diese skalare Verwirrung – dieses Narrativ über ein globales Subjekt, das über den Lithiumabbau entscheidet, um ein planetarisches Problem zu lösen – das dieses Gefühl eines moralischen Dilemmas erzeugt. Ohne ein globales Wir geht es bei dem Dilemma nicht mehr um unmögliche Wahlmöglichkeiten. Wie unsere Geschichten andeuten, gibt es viele Möglichkeiten, im Angesicht der Energiewende und ihres Rohstoffhungers zu handeln.

Wir können damit beginnen, uns den Erzählungen zu widersetzen, die uns glauben machen, dass es bei der Energiewende vor allem um die Wahl von Technologien wie dem Elektroauto geht. Vielmehr sollten wir uns fragen, ob es bei der Energiewende überhaupt darum geht, einfach nur die Energiequellen zu wechseln. Was sich bei einer Energiewende ebenfalls ändert, ist die Art und Weise, wie unsere Energienutzung uns mit anderen Orten und Menschen verbindet. Andere Technologien, andere Energiequellen – andere Menschen und Orte.

Aber können wir uns auch andere Wege solcher Verbindungen vorstellen und sie verwirklichen? Diese Veränderungen bringen neue Risiken mit sich, bieten aber auch neue Chancen. Wir riskieren, globale Ungerechtigkeiten beim Stillen unseres Energiehungers zu reproduzieren, aber wir könnten auch die Chance bekommen, unsere Beziehungen zu den Menschen in Rohstofffördergebieten neu zu gestalten. Dazu müssen wir neue Wege finden, wie wir diese Menschen – und viele andere mehr – in Entscheidungen einbeziehen. Das Rohstoffdilemma der Energiewende als kollektives Problem zu verstehen – nicht nur ethisch, sondern auch politisch – macht es nicht weniger herausfordernd. Aber vielleicht kann es zu etwas gerechteren Lösungen führen.

Sozialanthropologe, noch immer doktorierend, je länger je faszinierter von Lithium und seinen Verbindungen rund um die Welt. Wohin trägt es uns und was geschieht, wenn wir ihm dahin folgen?

Morgan Scoville-Simonds

Morgan is a postdoc at the Department of Global Development and Planning, University of Agder, where he conducts teaching and research, and affiliated researcher at the Centre for International Environmental Studies, Graduate Institute, Geneva. He received his PhD in Development Studies in 2015 for which he conducted fieldwork with rural communities in the Andes and piedmont forests of Peru on indigenous perspectives on climate change and the relationship between adaptation and development. His research focuses on the overlapping cultural, political and North-South dimensions of global environmental change.