San Pedro de Atacama liegt aufgrund der enormen Lithiumreserven auf indigenem Gebiet im Salar de Atacama im Zentrum globaler Wirtschaftskräfte (Dorn & Gundermann, 2022). Als Schlüsselelement in Batterien, die für die Bekämpfung der Klimakrise als unverzichtbar gelten, wird erwartet, dass die Nachfrage und die Produktion von Lithium in den kommenden Jahren stark ansteigen werden (Hund et al., 2020). Die Forschung und das Interesse an der Lithiumgewinnung nehmen daher zu. Neben Studien über die Umweltauswirkungen des Lithiumabbaus sind auch die sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen, wenn wir eine gerechte Energiewende anstreben (siehe auch Lorca et al., 2022).

In diesem Beitrag liegt der Schwerpunkt auf den Erfahrungen indigener Frauen, die um die Abbaustätten des Salar de Atacama herum leben. Bislang wurde der Bergbau oft als „männlich“ angesehen und verstanden – und wenn man sich die Beschäftigungszahlen ansieht, wird deutlich, dass die Branche immer noch von Männern dominiert wird. Immer mehr Studien über den Bergbau berücksichtigen jedoch auch andere Akteure im Zusammenhang mit dem Bergbau.  Diese Forschungsarbeit mit indigenen Frauen trägt zu der wachsenden Forschung von Gender und Bergbau bei (Svampa, 2021; Ulloa, 2016).

Als ich in der staubigen Stadt San Pedro de Atacama im Norden Chiles ankam, lernte ich schnell, dass die Dynamik und die Verbindungen zwischen dem Bergbau und der Bevölkerung viel komplexer sind als erwartet. Der Fokus auf Erfahrungen indigener Frauen hilft dabei, die aktuellen Entwicklungen rund um die Salar de Atacama zu entwirren. Durch die Anerkennung der ambivalenten und manchmal scheinbar widersprüchlichen Perspektiven der Frauen tragen die Forschungsergebnisse dazu bei, eine nuancierte und differenzierte Debatte über eine gerechte Energiewende zu führen.

Die Fragestellungen, die diese Forschung leiteten, drehten sich um die Veränderungen in der Lebensweise der indigenen Frauen und die damit verbundenen Fragen nach Chancen und Herausforderungen, die die Frauen durch den Lithiumabbau in der Region erfahren. Die Einstellungen der Frauen zum Bergbau waren sehr unterschiedlich.

Im Folgenden betrachten wir nun die Herausforderungen und Chancen, die indigene Frauen im Zusammenhang mit dem Lithiumbergbau erleben.

Welche Herausforderungen ergeben sich für indigene Frauen aus dem Lithiumabbau?

Die grundlegende Sorge vieler Indigener ist die Zukunft von San Pedro de Atacama. Zum Teil drehen sich diese Sorgen um das Umweltrisiko, das der Lithiumabbau für die Salzwüste und ihre Wasserressourcen darstellt, da der Abbau von Lithium ein sehr wasserintensiver Prozess ist. Dies geschieht vor dem Hintergrund der trockensten Wüste der Welt, in der sich die Niederschlagsmuster aufgrund des Klimawandels bereits verändert haben.

Zum Teil geht es aber auch um die Erhaltung des kulturellen Erbes der Menschen in dieser Region. Die Einführung des Bergbaus in großem Maßstab und die Auswirkungen des Klimawandels haben zu Veränderungen in den Lebensgrundlagen der Menschen geführt. Traditionell waren Landwirtschaft und Weidewirtschaft die Haupttätigkeiten der Lickanantay (Selbstbezeichnung der indigenen Bevölkerung in San Pedro de Atacama). Da allerdings die Bergbauunternehmen ein stabiles monatliches Einkommen bieten, haben sich viele Indigene stattdessen diesen Tätigkeiten zugewandt und die traditionellen Tätigkeiten – und die damit verbundenen Praktiken – hinter sich gelassen. Wie eine indigene Frau sagt:

“Indigene Frauen und Männer betrachten beispielsweise die landwirtschaftliche Arbeit nicht mehr als grundlegend für die Erhaltung und Bewahrung ihrer Kultur. Für viele von ihnen hat sie keine Priorität mehr, so dass sie nicht mehr vorhaben, das Land zu bewirtschaften, sondern lieber ihre bezahlte Arbeit beibehalten und keine Landwirtschaft betreiben, da dies eher ein Opfer darstellt.”

Indigene Anwohnerin

Doch während diese traditionellen Tätigkeiten verloren gegangen sind, sind die Beschäftigungsvorteile für indigene Frauen durch den Bergbau im Vergleich zu denen für indigene Männer begrenzt. Obwohl die Bergbauunternehmen im Salar de Atacama zweifellos wichtige Arbeitgeber in der Region sind, haben indigene Frauen nur begrenzte direkte Beschäftigungsmöglichkeiten bei den Unternehmen. Etwa 80 % der Beschäftigten sind männlich, und die Mehrheit der indigenen Frauen, die für die Unternehmen arbeiten, sind in Dienstleistungspositionen beschäftigt, beispielsweise als Küchenpersonal oder in unteren Verwaltungspositionen. Die Frauen, die in höheren Positionen beschäftigt sind, stammen häufig aus Zentralchile und werden von einer indigenen Frau als typischerweise „blond, groß, dünn und weiß“ beschrieben.

Eine weitere Herausforderung, die der Bergbau mit sich bringt, ist die Verstärkung der traditionellen Geschlechternormen. Wie oben beschrieben, ist die Bergbauindustrie immer noch männlich dominiert, was sich in der Verfestigung traditioneller Rollen für Männer und Frauen widerspiegelt. Ein Grund dafür ist, dass die Männer aufgrund der Abgeschiedenheit der Minen lange Schichten von mehreren Tagen bis zu mehreren Wochen in den Minen arbeiten, während die Frauen bei ihren Familien bleiben und den Großteil der häuslichen Pflichten übernehmen. Dazu gehöre unbezahlte Hausarbeit (zum Beispiel Waschen, Putzen, Kochen) sowie die emotionale Arbeit der Kindererziehung. Andere Wissenschaftler*innen haben darauf hingewiesen, dass das System der Minenarbeit auch Männlichkeitsbilder reproduziert (siehe Barrientos Delgado et al., 2011; Silva et al., 2016) und traditionelle Bilder von Männern als starke Ernährer und Frauen als häusliche Versorgerinnen verstärkt. Trotz dieser strukturellen Verfestigung von Geschlechternormen deuten die Interviews dieser Studie jedoch darauf hin, dass viele indigene Frauen bestrebt sind, diese Dynamik in ihren eigenen Beziehungen zu verändern.

Welche Chancen bietet der Lithiumabbau im Salar de Atacama für indigene Frauen?

In der Umgebung des Salar de Atacama finden mehrere parallele wirtschaftliche Entwicklungen statt, wie zum Beispiel das Wachstum des Bergbaus und der Anstieg des Tourismus. Durch diese Entwicklungen hat sich das Leben rund um die Salzwüste verändert.

Obwohl im Salar de Atacama bereits seit 1984 Lithium abgebaut wird, gewann der Bergbau ab dem Jahr 2000 an wirtschaftlicher Bedeutung. Dieses Wachstum hat zu vielen Veränderungen in den Lebensgewohnheiten geführt und hat nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf das Leben derjenigen, die in der Umgebung der Salzwüste leben, einschließlich des Lebens der indigenen Frauen.

Viele der Geschichten, die die Frauen in den Interviews erzählten, beinhalteten zum Beispiel Beschreibungen des verbesserten Zugangs zu Bildung. Viele der Frauen erhielten ihre Ausbildung in Internaten fern von zu Hause, was bedeutete, dass sie ihre Familien oft lange Zeit nicht sahen. In den letzten Jahren hat sich die Situation jedoch geändert, und es gibt jetzt mehr lokale Schulen. Außerdem werden durch Stipendien des Bergbauunternehmens SQM mehr Kinder von Minenarbeiter*innen bei der Aufnahme einer Hochschulausbildung unterstützt. Eine akademische Ausbildung ist in Chile im Verhältnis zum Einkommen in der Regel sehr teuer, so dass Stipendien für die Kinder von Minenarbeiter*innen unerlässlich sind, um die Ausbildung fortsetzen zu können.

In den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren hat sich auch die Infrastruktur der Energie- und Wasserversorgung in San Pedro de Atacama stark verbessert. Dies erleichtert das Leben der indigenen Frauen, die einen Großteil der häuslichen Pflichten übernehmen, erheblich. Wie bereits erwähnt, werden Haushaltsaufgaben wie Waschen, Kochen, Putzen usw. häufig von den Frauen erledigt. Die Tatsache, dass Energie, Licht und Wasser fast immer zur Verfügung stehen, erleichtert diese Hausarbeiten.

Neben diesen indirekten Auswirkungen auf das Leben der indigenen Frauen gibt es auch direktere Initiativen des Bergbauunternehmens SQM. So finanzierte das Unternehmen im April 2022 ein Zentrum zur Brustkrebsvorsorge auf dem Dorfplatz von San Pedro de Atacama, das kostenlose Gesundheitsdienste für Frauen anbietet. Das Unternehmen hat auch Projekte für indigene Frauen in der Region ins Leben gerufen, zum Beispiel Workshops zum (Wieder-)Erlernen traditioneller Webtechniken. Da nur noch wenige Indigene über dieses Wissen verfügen, zielt das Projekt darauf ab, einige der oben erwähnten kulturellen Verluste zu mildern, indem es die Weitergabe dieser aussterbenden Praktiken erleichtert.

Was passiert, wenn wir die beschriebenen Chancen und Herausforderungen zusammenführen?

Wie bereits erwähnt, können wir viele Veränderungen durch den Lithiumabbau in der Umgebung von San Pedro de Atacama beobachten. In Gesprächen mit mehreren indigenen Frauen wurde deutlich, dass viele von ihnen sowohl die positiven als auch die negativen Entwicklungen in ihrem Umfeld wahrnehmen, auch wenn ihre allgemeine Einstellung zum Bergbau unterschiedlich ist. Einige der Frauen wehren sich aktiv gegen den Bergbau, indem sie beispielsweise auf öffentlichen Veranstaltungen mit Rap-Musik ihren Widerstand zum Ausdruck bringen. Andere Frauen wiesen auf die mit dem Lithiumbergbau verbundenen Risiken hin, akzeptierten aber seine Präsenz in der Region. Sie sind der Meinung, dass es am besten ist, die Chancen zu nutzen, die sich aus der Präsenz des Bergbaus ergeben und die zur Stärkung der indigenen Frauen führen können. Eine indigene Frau sagte zu mir:

“Wie kommen wir aus diesem Kreislauf des Bergbaus heraus? Das gilt für alle Berufe, auch für uns [die nicht im Bergbau arbeiten]. Wir haben kürzlich zwei Handwerkerinnen ausgebildet, eine Keramik- und eine Textilhandwerkerin, die perfekte Arbeit leisteten und tolle Ideen mitbrachten. […] Und wir haben es [die Ausbildung] mit einem Bergbaufonds finanziert. Wir mussten uns für das Projekt bewerben, weil wir nicht über die nötigen Mittel verfügten. So ist das also – letztendlich basiert das Empowerment von Frauen auch oft auf diesen Ressourcen aus der Bergbauindustrie.“

Indigene Anwohnerin

In solchen Gesprächen wurde deutlich, dass viele Frauen ambivalente und widersprüchliche Gefühle gegenüber der Bergbauindustrie haben. So erzählte mir eine junge Frau, dass sie derzeit für SQM arbeitet (genauer gesagt für einen Subunternehmer, der sich um die Verpflegung der Minenarbeiter kümmert, eine typische Aufgabe für Frauen in dieser Gegend). Gleichzeitig drückte sie ihre Unzufriedenheit über die Arbeit bei SQM aus, da sie sehr besorgt über die negativen Auswirkungen des Bergbaus im Salar de Atacama ist.

Für eine Debatte über eine gerechte Energiewende als Antwort auf den Klimawandel ist es wichtig, die Perspektiven von weiteren Akteuren zu berücksichtigen, als traditionell im Bereich des Bergbaus berücksichtigt werden. Davon zu lernen, wie indigene Frauen ihre Lebenswirklichkeit beschreiben, trägt dazu bei, die Debatten über erneuerbare Energien zu nuancieren.

In einer Zeit der Klimakrise und des Wandels müssen Fragen wie „Wer trägt die Last einer gerechten Energiewende?“ und „Was ist die ethischste Antwort auf die Klimakrise?“ immer wieder gestellt werden. Um diese grundlegenden Fragen zu beantworten, ist es wichtig, auf viele verschiedene Stimmen zu hören, einschließlich derer indigener Frauen, die das Leben an vorderster Front unserer sich schnell verändernden Welt erleben.

Literatur:

Barrientos Delgado, J., Salinas Meruane, P., Rojas Varas, P., & Meza Opazo, P. (2011). Gender relations and masculinity in northern Chile mining areas: ethnography in schoperías. Etnográfica. Revista do Centro em Rede de Investigação em Antropologia, 15(3), 413-440. https://doi.org/10.4000/etnografica.1013

Dorn, F. M., & Gundermann, H. (2022). Mining companies, indigenous communities, and the state: The political ecology of lithium in Chile (Salar de Atacama) and Argentina (Salar de Olaroz-Cauchari). Journal of Political Ecology, 29(1).  https://doi.org/10.2458/jpe.5014

Lorca, M., Olivera Andrade, M., Escosteguy, M., Köppel, J., Scoville-Simonds, M., & Hufty, M. (2022). Mining indigenous territories: Consensus, tensions and ambivalences in the Salar de Atacama. The Extractive Industries and Society, 9, Article 101047. https://doi.org/10.1016/j.exis.2022.101047

Silva, J., Campos, C., Garciá, P., Portilla, D. (2016). Masculinidades y paternidades en el contexto minero del norte de Chile. Salud & Sociedad 7(1), 78-96. https://doi.org/10.22199/S07187475.2016.0001.00005

Svampa, M. (2021). Feminismos ecoterritoriales en América Latina. Entre la violencia patriarcal y extractivista y la interconexión con la naturaleza. Documentos de trabajo 2(59), 1-29. https://doi.org/10.33960/issn-e.1885-9119.DT59

Ulloa, A. (2016). Feminismos territoriales en América Latina: defensas de la vida frente a los extractivismos. Nómadas 45, 123-139.

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