Norwegen steigt ins Batteriegeschäft ein: Innerhalb eines Jahrzehnts sollen mehrere Gigafabriken gebaut werden – das neue „Industrieabenteuer“ verspricht eine „grüne“ und „nachhaltige“ Wirtschaft, sowie Arbeitsplätze und Innovation. Alles über norwegische Batterien. Doch diese hängen zu einem hohen Grad von Mineralien wie Lithium ab, die im Ausland gewonnen werden. Auf welcher Grundlage und mit welchen Konsequenzen jenseits der norwegischen Grenzen also wird die Industrie aufgebaut?

Der Traum von norwegischen Batterien

Elektroauto-Batterien haben während der vergangenen Monaten in Norwegen für enorme Aufmerksamkeit gesorgt – dies nicht nur wegen des hohen Anteils an Fahrzeugen auf norwegischen Strassen, die ohne fossile Brennstoffe betrieben werden. Mit dem Ziel die „grünsten“ Batteriezellen der Welt zu produzieren, bemühen sich gleich mehrere Unternehmen Batteriefabriken aufzubauen, und setzen hauptsächlich auf Lithium-Ionen-Technologie.

Nachdem vergangenen Dezember ein neues, gross angelegtes Batterieprojekt angekündigt wurde, berichtete der nationale Rundfunk NRK, dass potenzielle Standorte „Schlange stehen, um Batteriegemeinden zu werden“. Der weltweit grösste Aluminiumproduzent Hydro, das staatliche, ehemalige Öl- und Gas-, und jetzige Energieunternehmen, Equinor und Panasonic initiierten eine strategische Partnerschaft. Ihre so genannte Joint Battery Initiative sucht nach einem geeigneten Standort für ihre geplanten Anlagen – 82 Gemeinden im ganzen Land haben sich dafür beworben.

Vorgestelltes Design für eine Joint Battery Initiative Batteriefabrik | NSW Arkitektur/RIFT og Kongsberg kommune

Unterdessen streben drei weitere Unternehmen an innerhalb eines halben Jahrzehnts Lithium-Ionen-Batterien zu liefern. Eines davon befindet sich in Mo i Rana, einer Industriestadt knapp unterhalb des Polarkreises. Das vor kurzem an der New Yorker Börse notierte Unternehmen Freyr baut bis 2025 vier Batteriefabriken mit einer Kapazität von bis zu 43 GWh. Die Anlagen könnten Zellen für bis zu 800’000 Elektroautos pro Jahr herstellen. Die Gemeinde Rana ist optimistisch: Sie erwartet 1500 neue Arbeitsplätze, kaufte letztes Jahr Aktien von Freyr im Wert von 10 Millionen NOK und erwägt sogar den Bau eines neuen Flughafens.

Die neue Industrie um norwegische Batterien verspricht wirtschaftliches Wachstum, bis zu 30’000 Arbeitsplätze, regionale Entwicklung und technologische Innovation. In ihrem jüngsten Klima-Aktionsplan hat die Regierung Industrien entlang der Batterie-Lieferkette als Schlüssel zum „grünen Wachstum“ bezeichnet. Gleichzeitig hegt die Batterietechnologie die Hoffnung dem Klimawandel entgegenwirken zu können: Laut Morten Halleraker, Head of Batteries bei Hydro, sind Lithium-Ionen-Batterien „eine der Lösungen für eine der grössten Herausforderungen unserer Generation: die globale Erwärmung“. Die Initiativen in Norwegen stehen im Einklang mit den europäischen Bemühungen, die Batterieproduktion auszubauen. Doch für die Öl- und gasexportierende Nation sollen Batterien und andere erneuerbare Technologien nach Ansicht von Branchenexperten Norwegens Rolle als „Energie-Grossmacht“ in der Zukunft trotz einer sinkenden Nachfrage nach fossilen Brennstoffen garantieren. Oder mit anderen Worten: „Die industrielle Kapazität und finanzielle Stärke für den grünen Wandel zu nutzen, könnte das Land von einem ‚Klimaschurken‘ in einen grünen Riesen verwandeln“, so ein aktueller UCL Policy Brief.

Auch wenn es unsicher bleibt, ob norwegische Batterien ein Traum bleiben, oder Wirklichkeit werden können, steht eines fest, nämlich dass eine Umstellung von der Öl- und Gasförderung auf erneuerbare Energietechnologien weiterhin auf Rohstoffabbau basiert. Für die Batterieherstellung sind riesige Mengen an Mineralien nötig, die, wie Lithium, meist aus dem Ausland bezogen werden.

Norwegische Batterien: „Grün“ und „Verantwortungsvoll“?

Projekte für norwegische Batterien wollen möglichst „grün“ produzieren. Eine niedrige CO2-Bilanz wird zum einen durch die norwegische Stromversorgung garantiert – 98 Prozent der Elektrizität stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Andererseits sollte eine „grüne“ Batterie auch auf verantwortungsvollen und nachhaltigen Rohstoffquellen basieren, die zudem möglichst wenig Emissionen generieren sollten. So erklärt Freyr auf seiner Website seine Absicht, eine „grüne“ Wertschöpfungskette aufzubauen und „saubere“ Batteriezellen aus Rohmaterialien „mit dem geringstmöglichen CO2-Fussabdruck und einer sozial verantwortlichen Produktion“ herzustellen.

Die Umweltorganisation Naturvernforbundet (Friends of the Earth Norway) zeigte sich gegenüber den Versprechungen der aufstrebenden Batterieindustrie skeptisch. Die regionalen Sektionen in Nordland und Trøndelag äusserten Bedenken, wie ethisch und CO2-neutral die Beschaffung von Batteriemineralien in der Realität überhaupt sein könne, und verurteilten den Anspruch der Industrie, „grün“ zu sein. Bereits bei der Bekanntgabe der Pläne für eine gigantische Batteriefabrik im Norden kritisierte die Sektion Nordland einen möglichen Windpark in Zusammenhang mit dem Projekt sowie der enorme Umfang der Zellfabrik. Als Windenergie immer weniger relevant für Freyr wurde, zeigten sich die Kritiker*innen jedoch eher zustimmend. Überraschenderweise hat die norwegische Zivilgesellschaft, mit Ausnahme von Naturvernforbundet, kaum Kritik zu den neuen grossindustriellen Visionen geäussert.

Die Organisation zeigt sich aufgrund Umweltschäden und sozialer Probleme besorgt, die auf die Gewinnung von Batteriematerialien zurückgehen – Lithium-Ionen-Batterien bestehen heute hauptsächlich aus Nickel, Kobalt, Grafit, Mangan und Lithium. So weist die Organisation beispielsweise auf die Umweltprobleme hin, welche durch den enormen Wasser- und Landbedarf bedingt werden, die Lithiumgewinnung verursacht. Im sogenannten „Lithium-Dreieck“ in Südamerika bedrohen extreme Wasserknappheit und erhöhte Risiken für Boden- und Luftverschmutzung die Lebensgrundlage der Anwohner*innen. Derzeit wird das meiste Lithium in Batteriequalität entweder aus Salzwüsten/Salaren in Chile und Argentinien oder Erzgestein in Australien gewonnen. Der Lithiumabbau stösst teilweise auf starken Widerstand, wie zum Beispiel von indigenen Aktivisten in Chile inmitten der landesweiten Proteste gegen soziale Ungleichheit.

Der norwegische Naturverforbundet hinterfragt nicht nur wie, sondern auch in welchem Ausmass und mit welcher Intensität der Abbau von Lithium und anderen Batterierohstoffen erfolgt. Ihre Kritik ist berechtigt: Mit dem Ende der mit Benzin und Diesel betriebenen Autos – Norwegen verbietet deren Verkauf ab 2025 – steigt der Bedarf an „kritischen Rohstoffen“ rapide an. Der letzte Bericht der International Energy Association geht beispielsweise davon aus, dass die Nachfrage an Lithium für Batterien bis 2030 um das 30-fache steigen und 2050 mehr als 100-mal so hoch wie heute sein wird. Dies bedeutet unweigerlich eine Zunahme an Bergbauaktivitäten.

Vorgestelltes Design für ein Industriegebiet in Lyseparken | Bjørnafjorden kommune

Lithium aus Europa?

Beeinflusst durch die Dominanz Chinas in der Lithium-Lieferkette, sowie dem zunehmenden Druck, Metalle mit CO2- und Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (ESG) zu kennzeichnen, suchen Regierungen und Bergbauunternehmen nach neuen Mineralreserven, um eine stabile Versorgung mit Lithium in der Zukunft zu sichern.

Norwegen hat seine geologischen Kartierungsaktivitäten verstärkt, um mineralische Lagerstätten ausfindig zu machen – auch in der Tiefsee. An Land gibt nach Angaben des Norwegischen Geologischen Dienstes keine abbaubaren Lithiumvorkommen. Anders auf dem norwegischen Meeresgrund: Jüngste Expeditionen entlang des Mittelatlantischen Rückens haben, nebst anderen Mineralvorkommen, hohe Konzentrationen an Lithium entdeckt. Wann und ob aus diesen Vorkommen überhaupt gefördert werden kann, bleibt unklar.

In Europa wurde eine Reihe an Lithium-Bergbauprojekten angekündigt, z.B. in Serbien, Finnland, Portugal und Spanien, um den europäischen Markt mit dem leichtesten Batteriemetall zu versorgen. Der Bloomberg Metals-Analyst Kwasi Ampofo geht jedoch davon aus, dass Europa bis 2030 bei weitem noch nicht die Kapazität zur Herstellung von Lithiumhydroxid haben wird, welches für die neueren Generationen von Lithium-Ionen-Batterien benötigt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass chinesische Akteure die Lithium-Lieferkette weitgehend kontrollieren und heute den grössten Teil der Lithiumverarbeitung und Batteriezellen-Herstellung übernimmt, wird Lithium wahrscheinlich auch weiterhin quer über den Globus verschifft werden, zumindest für norwegische Batterien der ersten Generationen. In einigen Jahren (oder Jahrzehnten) könnte der europäische Bergbau zumindest für einen Teil des in europäischen Batterien verwendeten Lithiums aufgrund kürzerer Transportwege geringere Kohlenstoffemissionen bedeuten und zugleich eine grössere Versorgungssicherheit für norwegische und europäische Batteriehersteller gewährleisten.

Die Ausweitung der Bergbauaktivitäten von Batterierohstoffen in Europa wird von der Europäischen Union stark unterstützt. Laut der EU ist ein „zuverlässiger, sicherer und nachhaltiger Zugang zu Rohstoffen Voraussetzung für den European Green Deal“. Ein positiver Aspekt der Bemühungen im Bereich Batteriepolitik und -regulierung, ist der Schritt hin zu einer gesetzlich verankerten Sorgfaltspflicht in Lieferketten: Der neuste Vorschlag für die EU-Batterieverordnung empfiehlt, Lithium in den Geltungsbereich der Sorgfaltspflichten in Lieferketten aufzunehmen und verlangt, dass dessen nachhaltige Beschaffung nachhaltig ist. Dies, obwohl Lithium in den bestehenden freiwilligen Lieferketten-Standards bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Auch die norwegische Regierung wird ihre Gesetze an die EU anpassen, hat jedoch bereits eine neues Gesetz zur Transparenz und Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte vorgeschlagen. Was die Verantwortung und Rechenschaftspflicht bei der Lithiumbeschaffung angeht, scheinen diese Schritte in eine positive Richtung zu weisen.

Nichtsdestotrotz sind Bergbauprojekte in Europa nicht weniger umstritten als anderswo: Zum Beispiel in Spanien oder Portugal, wo lokale und nationale Proteste gegen die Lithiumförderung stattfinden. Für Betroffene würden die Open-Pit-Minen das lokale Erbe, die natürliche Umgebung und die Lebensgrundlagen bedrohen. Lokale Aktivistinnen und Anwohnerinnen in Nordportugal fürchten Umweltverschmutzungen und Zerstörung zugunsten der „grünen“ Mobilität und um „Städte zu entschmutzen/reinigen“.

Die Dekarbonisierung der (individuellen) Mobilität durch batteriebetriebene Fahrzeuge ist zwangsläufig auf Mineralien wie Lithium angewiesen. Während zunehmend auf verantwortungsvolle, transparente – und kürzere – Lieferketten geachtet wird, bringt der erwartete Anstieg des Rohstoffabbaus ungleiche Vorstellungen einer „grünen“ und „nachhaltigen“ Zukunft hervor.

Anna-Sophie ist Doktorandin der Sozialanthropologie an der Norwegischen University of Life Sciences, wo sie die (zukünftige) norwegische Lithium-Ionen-Batterieproduktion untersucht. Die aufstrebende Industrie, die von Ressourcen wie Lithium aus der Ferne abhängig ist, weckt Visionen von Welten nach dem Ende des Erdöls sowie von glorreichen industriellen Vergangenheiten in den kleinen Städten, in denen Gigafactories gebaut werden. Ihre Interesse gilt den Hoffnungen auf eine Reindustrialisierung und der Bedeutung von Wirtschaftswachstum für unsere Zukunft.

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